Wiesenbader Vital-Blog

N°12 I G. Kammerewert: Mit Skoliose aufrecht durch´s Leben

Aufrecht durch´s Leben mit Skoliose - Frau Kammerewert
Hallo liebe Wiesenbad-Freunde, Skoliose – eine Diagnose fürs Leben. Benannt nach dem altgriechischen Wort „skolios“ für „krumm“ handelt es sich hierbei um eine Fehlbildung, genauer: eine Verkrümmung, der Wirbelsäule, resultierend aus einer Wachstumsstörung. Meist wird das Krankheitsbild zu Beginn der Pubertät festgestellt und verschlechtert sich in Wachstumsschüben. Weltweit sind etwa 70 Millionen Menschen von der Diagnose betroffen – Mädchen und Frauen etwa 4 bis 5x häufiger als Jungen und Männer. Heute treffe ich Gabriele Kammerewert, eine Patientin, welche sich im Rahmen einer Rehamaßnahme regelmäßig in der Rehaklinik Miriquidi befindet. Ich habe einige Fragen zum Thema Skoliose und freue mich auf unser Treffen.

BADEFRAU: Hallo Frau Kammerewert, Sie sind betroffen von Skoliose. Wie hat sich die Erkrankung bei Ihnen bemerkbar gemacht? Wann erhielten Sie Ihre Diagnose?

FRAU KAMMEREWERT: Meine Mutter stellte, als ich etwa 14 Jahre alt war, fest, dass meine Röcke immer etwas „zipfelig“ saßen. Auf ihren Anlass hin sind wir dann zum Orthopäden gegangen, der es schließlich diagnostiziert hat. Allerdings wurde diese Diagnose damals noch anders als heute angesehen. Er hat mir gesagt: „Du wirst irgendwann mal starke Schmerzen haben.“ Das ist für eine 14-Jährige so abstrakt, dass es mich nicht zum Handeln bewogen hat. Ich habe zwar kurz Krankengymnastik gemacht, aber das war´s dann auch. Es hat sozusagen damals nicht viel ausgelöst, da ich ja auch noch keine Beschwerden hatte.

BADEFRAU: Wie äußerte sich der Verlauf seitdem bei Ihnen? Konnten Sie mit der Erkrankung ein verhältnismäßig uneingeschränktes Leben führen?

FRAU KAMMEREWERT: Erstmal habe ich nicht viel gemerkt. Das fing eigentlich so im Alter von 24 Jahren an, als ich dann auch mehr im Arbeitsleben stand. Gerade im Job sitzt man auch mal länger am Schreibtisch, wodurch ich merkte, dass mein Rücken nicht mehr so viel mitmacht und schmerzt. Daraufhin bin ich nochmal zum Arzt gegangen und mir wurde Physiotherapie verschrieben. Damals hatte ich auch den ersten Kontakt zur Schroth-Therapie. Auf den Rat meiner Therapeutin hin habe ich in dieser Zeit zum ersten Mal eine Reha beantragt. Seitdem wiederhole ich die Reha alle 4 Jahre und stelle fest, dass ich mich dadurch immer auf einem erträglichen Level halte, mit dem es sich gut leben lässt.

BADEFRAU: Also kann man sagen, dass Ihr Schmerzempfinden ab Mitte 20 allmählich stärker wurde und sie auch beeinträchtigte. Waren Sie dahingehend auch in Ihrer Berufswahl eingeschränkt?

FRAU KAMMEREWERT: Da wir ein Familienunternehmen in Tradition haben, blieb mir nicht wirklich eine Wahl. Ich übernehme meist den Bürobereich, wodurch ich etwas flexibler als im Verkauf bin. Hier kann auch mal zwischen Sitzen und Stehen wechseln und meine Arbeit anpassen.

BADEFRAU: Dieser Wechsel ist auf jeden Fall von Vorteil. Wie verliefen dann die kommenden Jahre? 

FRAU KAMMEREWERT: Mit Anfang 30 sagte mir ein Arzt bei der Reha, dass ich mal darüber nachdenken solle, eine Versteifungs-Operation zu machen, da es mit der Verkrümmung stärker wurde. Es sollte ja theoretisch aufhören, wenn ich ausgewachsen war, aber es wurde immer mehr. Erstmal habe ich das ganz weit weg verwiesen, doch als mein eigener Orthopäde dann auch noch unabhängig davon dasselbe sagte, dachte ich, vielleicht solltest du dich doch mal damit beschäftigen. Ich bin dann zu zwei Kliniken gegangen und habe mich beraten lassen. Schließlich habe ich mich dazu entschlossen, in den sauren Apfel zu beißen. Alle sagten: „Es ist nicht garantiert, dass es dann besser ist“ und ich hatte auch nicht so ein starkes Schmerzempfinden, dass ich damit nicht zurechtkam. Aber was mich beunruhigte, war die stetige Verschlimmerung. Da weiß man ja auch nicht, wo es noch hingeht und ob es nachher noch schwieriger ist, es zu beheben. Im Endeffekt habe ich mich mit Mitte 30 operieren lassen und stellte danach fest, dass ich vorher sehr wohl Schmerzen hatte, mich nur einfach so daran gewöhnt hatte, dass ich sie nicht mehr wahrgenommen hatte. Danach war es wesentlich besser und ich achte seitdem viel mehr auf mein Körpergefühl. Das sollte man auch machen. Wenn der Körper sagt: „Du brauchst jetzt deine Ruhe!“, sollte man ihm folgen und nicht einfach weitermachen.

BADEFRAU: Leider merkt man meist erst durch solche Situationen, einen Gang zurückzuschrauben.

FRAU KAMMEREWERT: Ja, ich muss auch sagen, vorher hatte ich meinen Rücken mental ein Stück weit ausgeklammert – ich habe ihn ignoriert. Es schmerzt, sieht nicht gut aus … Dafür habe ich mir erst nachher richtig die Erklärung gegeben.

BADEFRAU: Sicherlich beeinträchtigt die Erkrankung Dinge, die man eigentlich für selbstverständlich hält, aber den „normalen“ Tagesablauf erschweren. Inwiefern mussten Sie Ihren Alltag anpassen?

FRAU KAMMEREWERT: Zum Beispiel habe ich meinen Arbeitsplatz rückengerecht mit einem höhenverstellbaren Schreibtisch ausgerichtet. Da ich etwas größer bin, ist auch meine Küche entsprechend angepasst. Außerdem bewege ich mich viel. Diese Dinge machen schon einen großen Unterschied.

BADEFRAU: Treiben Sie regelmäßig Sport, um Bewegungsmangel vorzubeugen? Welche Übungen machen Sie für den Rücken?

FRAU KAMMEREWERT: Ich besuche einen Rückenschulkurs in der Volkshochschule für das allgemeine Rückentraining. Außerdem hilft mir Walken sehr gut, um die Muskeln zu lockern – hier benutze ich allerdings keine Stöcke, da ich mit freien Händen eher das Gefühl der Lockerung habe. Ich mache auch spezielle vereinfachte Rückenübungen, die ich z. B. hier in der Klinik mit an die Hand bekommen habe.

BADEFRAU: Machen Sie die Übungen täglich oder auf einer regelmäßigen Basis?

FRAU KAMMEREWERT: Es schwankt (lacht). Mein innerer Schweinehund ist ja auch verschieden aktiv. Aber auch Faszientraining hilft mir gut, um direkte Beschwerden zu lindern.

BADEFRAU: Es besteht ja bei Skoliose die Möglichkeit, dass innere Organe später beeinträchtigt werden. Wie gehen Sie mit dieser allgemeinen Prognose für Ihr Krankheitsbild um?

FRAU KAMMEREWERT: Es wurde vor der OP getestet, ob ich dahingehend eingeschränkt bin, was aber nicht der Fall war. Sie sagten mir damals: „Es kann eine starke Verkrümmung sein, die keine Einschränkungen nach sich zieht, genauso kann aber auch eine kleine Verkrümmung so ungünstig sitzen, dass es zur Beeinträchtigung kommt.“. Deswegen mache ich mir nicht wirklich Gedanken darum. Unter anderen Skoliose-Patienten werde ich manchmal gefragt, ob ich die Versteifungs-OP empfehlen kann – das kann man generell nicht. Für jeden ist es anders, je nachdem, was man für eine Basis hat. Mit viel Disziplin und Zeit kann man Schmerzen auch mit Gymnastik so in den Griff kriegen, dass es weitestgehend erträglich ist. Für mich persönlich war die OP damals die bessere Lösung.

BADEFRAU: Der Austausch mit anderen ist dabei sicherlich sehr hilfreich, oder?

FRAU KAMMEREWERT: Ja, definitiv. Ich bin im Bundesverband Skoliose Selbsthilfe. Man kann sich Erfahrungsberichte erfragen und der Verband steht einem mit Rat und Tat zur Seite. Auch die Website oder die Zeitung sind gut für den Austausch. Einerseits ist das gut, um zu sehen, wie andere mit der Erkrankung klarkommen, andererseits ist es ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass man mit der Diagnose nicht alleine ist. Von dem Verband habe ich z. B. auch die Klinik als Reha-Empfehlung bekommen – viele sagten, sie seien hier sehr zufrieden.

BADEFRAU: Haben Sie es schon einmal erlebt, dass es in unserer Gesellschaft Irrtümer über das Thema Skoliose gibt? Viele wissen sicherlich gar nicht so richtig, um was es sich dabei handelt.

FRAU KAMMEREWERT: Ich habe das Gefühl, als Begriff Skoliose haben es viele noch nie gehört oder können damit nichts anfangen. Wenn man von Wirbelsäulenverkrümmung spricht, dann schon eher. Aber die meisten machen sich darüber einfach gar keine Gedanken. Obwohl sie vielleicht gar nicht wissen, dass sie selbst davon betroffen sind.

BADEFRAU: Da gebe ich Ihnen Recht. Viele sind schon im jungen Alter stark betroffen – Sie selbst erhielten Ihre Diagnose ja auch bereits mit 14 Jahren. Haben Sie einen guten Rat für junge Skoliose-Betroffene?

FRAU KAMMEREWERT: Man sollte es auf jeden Fall ernster nehmen, als ich es damals gemacht habe. Aber ich glaube, heutzutage gehen die Ärzte auch anders damit um. Mir hätte es damals vielleicht eher geholfen, wenn man mir Bilder gezeigt hätte, wie es tatsächlich aussieht und sich entwickeln kann als irgendeinen diffusen Schmerz zu beschreiben, den man sich in diesem Alter gar nicht vorstellen kann. Auf jeden Fall sollte man frühzeitig etwas machen und sich austauschen – z. B. auch in Selbsthilfegruppen.

BADEFRAU: Der Bundesverband tut dafür ja auch vieles. Zum Beispiel habe ich auf deren Seite eine Broschüre entdeckt, die Skoliose und die Auswirkungen einfach und unkompliziert beschreibt.

FRAU KAMMEREWERT: Ja, der Verband hat auch eine Abteilung für junge Betroffene. Da ist man dann an der richtigen Stelle. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, es ist immer gut von verschiedenen Blickpunkten auf die Krankheit zu schauen und sich differenziert dazu informieren zu können. Als junger Mensch hat man andere Bedürfnisse. Mir hat es damals als Jugendliche auch sehr geholfen, prominente Beispiele zu kennen und zu wissen, dass diese Erkrankung so viele Menschen betrifft, von denen man es auch nicht erwartet. Man lebt nicht in einem Schattendasein, sondern hat Idole, denen man nacheifert und schließlich erfolgreich ist. Man sollte sich nie mit dem Leid in die Ecke setzen – das ist der falsche Weg. Im Alltag kann man annähernd alles ganz normal mit der Diagnose tun, gerade auch beim Sport.

BADEFRAU: Welche Formen empfehlen Sie dahingehend beispielsweise?

FRAU KAMMEREWERT: Klettern und Bouldern eignen sich gut, um das Gleichgewicht und den Rücken zu trainieren.

BADEFRAU: Klettern ist tatsächlich eine Sache, an die ich gar nicht gedacht hätte.

FRAU KAMMEREWERT: Ja tatsächlich. Beim Klettern hat man eine gleiche Verteilung auf die Muskulatur. Daher eignet es sich gut, um den Rücken zu stärken. Auch ein Therapeut hier aus der Klinik hat mir das empfohlen. Manchmal muss man eben um die Ecke denken und sich verschiedenartig ausprobieren.

BADEFRAU: Auf jeden Fall! Da ist es auch ganz gut, regelmäßig zur Reha zu fahren, um frischen Input und Tipps zu bekommen.

FRAU KAMMEREWERT: Ja, ich finde sowieso, mit Patienten oder von den Therapeuten gibt es viel Input. Ich habe gelernt, dass es immer besser ist, mit realistischen Zielen zu arbeiten, bevor man gar nichts macht. In Stressfällen ist es z. B. oftmals besser, einfach mal eine Entspannung einzubauen. Das lockert ja auch die Muskulatur – gerade wenn man sich darauf fokussiert. Es hilft, um den Kopf freizubekommen. Ich bin Fan von Qigong geworden. Das habe ich hier das erste Mal gemacht und gerade morgens, wenn man noch etwas steif ist, hilft dieses langsame Strecken enorm. Mir geht es danach wesentlich besser und ich könnte Bäume ausreißen – zumindest gefühlt (lacht).

BADEFRAU: Waren Sie schon mal bei uns in Thermalbad Wiesenbad?

FRAU KAMMEREWERT: Das dritte Mal bereits und es wird auch ein viertes Mal geben. Ich fühle mich hier wohl und bin danach motiviert. Es gibt immer eine Menge Denkanstöße. Was ich hier so gut finde, ist, dass ganzheitlich gedacht und nicht nur auf den Körperteil geschaut wird, der gerade behandelt werden soll.

BADEFRAU: Vielen Dank für diese abschließenden Worte und Ihre Offenheit und Zeit für das Interview, Frau Kammerewert!

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