Badefrau: Wie lief bei Ihnen die Viruserkrankung Poliomyelitis im Kindheitsalter ab?
Frau Zenner: Ich war fünf Jahre alt und klagte über starke Kopfschmerzen. Meine Mutter stellte Fieber fest und steckte mich ins Bett. Ich erinnere mich, als ich mich aufstellte, um über das Gitter des Bettes zu steigen, versagten meine beiden Beine. Nach Aussagen meiner Mutter konnte ich mich nicht mehr aufsetzen, weder Arme, Beine, noch Kopf bewegen, aber alles andere funktionierte. Nach 13-monatigem Aufenthalt im Krankenhaus musste meine Mutter mich im Kinderwagen abholen. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich weder stehen noch gehen. Zwei Langorthesen mit Beckengurt stabilisierten meine Beine. Durch regelmäßiges Schwimmen und Krankengymnastik kräftigte sich die noch erhaltene Muskulatur, sodass ich wieder stehen und gehen konnte und ich nur noch eine Unterschenkelorthese und orthopädische Schuhe tragen musste.
Badefrau: Konnten Sie direkt nach der Erkrankung ein verhältnismäßig uneingeschränktes Leben führen?
Frau Zenner: Ich besuchte eine reguläre staatliche Schule, machte Abitur, studierte Pädagogik und arbeitete als Vollzeitlehrerin überwiegend am Gymnasium, heiratete, bekam eine Tochter, führte mit meinem Mann den Haushalt – ich lebte also ein ganz „normales“ Leben. Nur wenn zu starke Schmerzen durch Überbelastung auftraten suchte ich die Physiotherapie auf und nahm Schmerzmittel. Alle drei Jahre konnte ich seit 1964 eine 6 bis 8-wöchige Kur im auf Poliomyelitis speziell ausgerichteten Sanatorium Thermalbad Wiesenbad durchführen. Die physikalischen Behandlungen und insbesondere das Thermalwasser stärkte und stabilisierte meinen Körper wieder für längere Zeit.
Badefrau: Bei Ihnen setzte schließlich das „Post-Polio-Syndrom“ ein. Dabei werden Jahrzehnte nach der Infektion auftretende Symptome wie Muskelatrophien, Kälteintoleranz, Erschöpfung, Krämpfe oder auch starke Schmerzen verursacht, die meist gleichzeitig in Erscheinung treten. Was müssen Sie in Ihrem Alltag mit PPS besonders beachten?
Frau Zenner: Da auch bei mir bereits nach ca. 30 Jahren Symptome des PPS in Erscheinung traten – von mir bis zum totalen physischen und psychischen Zusammenbruch im Alter von 54 Jahren verdrängt – musste ich lernen auf meinen Körper zu hören. Heute halbiere ich meinen Tag durch eine längere Ruhepause, besitze eine behindertenfreundliche Wohnung, lebe mit dem Rollstuhl als ganz „normales“ Hilfsmittel, da ich nach mehrmals gebrochenen Beinen nicht mehr laufen kann. Meine tägliche Hauptaufgabe ist, meinen Körper zu ernähren und hygienisch sauber zu halten. Durch einige wenige geistige und kulturelle Aktivitäten versuche ich mein Leben noch lebenswert zu gestalten. Es gibt Tage, an denen ich mich nicht weiter belasten kann. Die typischen, von Ihnen aufgezeigten Symptome, bestimmen dann mein Verhalten. Wie es so bei jedem Menschen ist, freue ich mich, wenn ich noch – wenn auch nur im ganz geringen Maße –, am Leben anderer Menschen teilhaben kann.
Badefrau: Bei dem PPS handelt es sich meist um eine nicht abzuwendende Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit starken Symptomen, welche die Eigenständigkeit der Betroffenen einschränkt. Sicherlich bedarf es daher im Umgang mit psychischen Belastungsfaktoren einer gefestigten inneren Einstellung. Haben Sie über die Jahre eine Grundhaltung entwickelt, um mit den täglichen Anforderungen, die diese Erkrankung mit sich bringt, zurechtzukommen?
Frau Zenner: Wie so viele „Polios“ bin auch ich eine Kämpferin. Schon seit meiner Kindheit war meine Lebensmaxime: „Geht nicht, gibt´s nicht.“ Ich habe das Glück eine gute Organisatorin zu sein und den hohen Anspruch an mich und meine Mitmenschen: Ich bin nicht krank, sondern habe nur ein Handicap! Natürlich fällt es auch mir physisch und psychisch mit zunehmendem Alter immer schwerer, die zunehmenden Schwächen als ganz normalen Lebensprozess zu akzeptieren und damit umzugehen.
Badefrau: Welche Therapieformen haben sich für Sie als besonders wirksam erwiesen?
Frau Zenner: Zweimal in der Woche erhalte ich in der Physiotherapie Lymphdrainage beider Beine, manuelle Therapie der Halswirbelsäule und Fango-Wärmeanwendungen. Früher führte ich Krankengymnastik durch. Heute ist mein Alltag schon so körperlich belastend, sodass statt eines Muskelaufbaus bzw. einer -erhaltung eher ein Abbau erzielt würde und vermehrt Schmerzen aufträten. Jeder zusätzliche Schmerz ist für mich ein Alarmsignal. Zuhause führe ich kurzzeitige Übungen (3 bis 5 Wiederholungen) über den Tag verteilt durch. Das ist mir zur Gewohnheit geworden.
Badefrau: Was ist für Sie das Besondere an Thermalbad Wiesenbad?
Frau Zenner: Die Klinik hat seit den 50er Jahren Erfahrungen bei der Behandlung von Polio-Patienten. Das gesamte Team führt diese Tradition fort, was ich jedes Mal hier erlebe und genieße. Ich fühle mich hier gut aufgehoben, weil die meisten Mitarbeiter, und zwar in allen Bereichen, ihr Bestmögliches geben, mich und alle Patienten zu unterstützen bei dem Erhalt bzw. Wiedergewinnen des körperlichen und seelischen Gleichgewichts. Das ganz Besondere, was meines Erachtens in Deutschland einmalig ist, ist die mineralstoffliche Zusammensetzung der Thermalquelle. Viele Patienten haben meine Erfahrungen bestätigt, dass das Wasser ihre Schmerzen lindert und sie physisch gekräftigt und psychisch gestärkt die Klinik verlassen. Aus all diesen Gründen besuche ich Thermalbad Wiesenbad mindestens einmal jährlich und möchte auch auf diesem Weg „Danke!“ sagen.
Badefrau: Liebe Frau Zenner, auch von unserer Seite ein großes Dankeschön für Ihr langjähriges Vertrauen in unsere Klinik und dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben.
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Thermalbad Wiesenbad Gesellschaft
für Kur und Rehabilitation mbH
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